1945 NS-Zwangslager in Berlin

Zu ende, aber nicht vorbei

Dienstag, 29. Mai 1945

Rückkehr nach Italien: Tiziano Di Leo

„Bernau. Die Franzosen, Kriegsgefangene und Zivilarbeiter, sind diesen Abend in die Heimat aufgebrochen. Güterzüge sind eingetroffen, um sie abzuholen und sie an die Elbe zu bringen, wo die Amerikaner auf sie warten. Auch unsere Nachbarn, die neun Franzosen aus der Unterkunft nebenan, sind mit viel Lärm aufgebrochen. Für sie beginnt nun der letzte Abschnitt dieser 5-jährigen Odyssee. Einer langen und beschwerlichen Odyssee, so wie auch für uns Italiener. Es beginnt die letzte Etappe der Aufopferung, die sie jedoch frohen Mutes auf sich nehmen, hinsichtlich der Tatsache, dass es nun nach Hause geht. Einige Nächte werden sie noch auf Stroh schlafen müssen, im Angesicht des Chaos, aber was soll’s. Es geht nun nach Hause… Bis Mitternacht habe ich gestern im Kerzenschein mit ihnen gequatscht. Wir erzählten von unserer Heimat, von der baldigen Rückkehr, von zu Hause, von unseren Müttern. Sie berichteten von Paris mit einer Begeisterung und Leidenschaft, mit der sie jeden hätten anstecken können… Sie haben mir ihre Adressen gegeben und ich werde ihnen mit Sicherheit schreiben: In Erinnerung an die kurze Freundschaft, die wir nach der Befreiung geschlossen hatten.“
(Aus dem Tagebuch des ehemaligen italienischen Zwangsarbeiters Tiziano Di Leo)

Tiziano Di Leo wird am 19. November 1920 in Turin geboren. Nach dem Kriegsaustritt Italiens erlebt der junge Rekrut am 9. September 1943 die Besetzung Norditaliens durch die Wehrmacht. In Ancona gerät Di Leo, so wie Hunderttausende andere Italiener, die sich weigern, weiter für den Faschismus zu kämpfen, in deutsche Gefangenschaft. In einem Viehwaggon wird Di Leo in das Sammellager Stalag III A bei Luckenwalde gebracht. Hier muss er eine medizinische Untersuchung durchlaufen und wird schließlich zur Zwangsarbeit als Dreher bei den Siemens-Schuckertwerken in Berlin-Spandau eingeteilt. Am 15. September 1943 erreicht Di Leo das Arbeitslager Salzhof. Nach einem Bombentreffer wird er jedoch in das Lager 159 in der Spandauer Reichsstraße verlegt. Die Lebensbedingungen im Lager sind hart und es mangelt an grundlegenden Lebensmitteln. Unter Bewachung muss Di Leo mit seinem Arbeitskommando täglich von Spandau-Hakenfelde aus etwa 10 km nach Siemensstadt marschieren.

Als im Frühjahr 1945 die sowjetische Offensive auf die Reichshauptstadt beginnt, notiert Di Leo in sein Tagebuch: „Berlin geht in die Knie!“. Die Italiener hoffen auf ein baldiges Ende des Krieges. Doch Di Leo wird nach Müncheberg gebracht, hier soll er mit anderen Gefangenen Panzersperren errichten. Im Angesicht der vorrückenden Roten Armee muss er 18. April nach Berlin zurückkehren, diesmal in das „Italien-Lager“ am Tegeler Weg beim Bahnhof Jungfernheide. Hier erlebt Tiziano Di Leo am 26. April die Befreiung durch die Rote Armee.

Durch das zerstörte Berlin werden die befreiten Italiener zunächst in ein internationales Sammellager nach Wittenau gebracht. Viele von ihnen, versuchen von hier aus, auf eigene Faust in die Heimat aufzubrechen. Als sowjetische Truppen verlauten lassen, dass das Lager in Wittenau für militärische Zwecke benötigt wird, muss Di Leo erneut weiterziehen. Gemeinsam mit etwa 500 anderen Befreiten - Italiener, Franzosen und Niederländer - wird Di Leo am 8. Mai nach Bernau verlegt. In seinem Tagebuch vermerkt er: „Halb Bernau ist von Deutschen geräumt worden. Die schönen Jugendstilvillen sind mit russischen Frauen belegt. Hier ist aus heiterem Himmel ein russisches Dorf entstanden. Wenn man zwischen den Villen entlang spaziert, bleibt einem der Mund offenstehen: so viele unterschiedliche Farben, bunte Röcke, Kleidungsstücke jeglicher Mode… Sie alle haben so gelitten und jetzt genießen sie das Leben… Die meisten von ihnen mussten unter ständigem Bombardement mit Schaufeln und Spitzhacken ackern, sie wurden wie Sklaven behandelt. Jetzt ist das alles für sie nur noch eine Erinnerung.“

Am 1. Juni 1945 bricht Tiziano Di Leo aus Bernau auf, zunächst in Richtung Buckow (Märkische Schweiz), wo bereits etwa 20.000 ehemalige italienische Zwangsarbeiter auf die Heimreise warten. Mit einem Handkarren gelangt er schließlich nach Müncheberg. Mit einem Güterzug kann er weiter in Richtung Italien reisen. Am 4. September 1945 erreicht Tiziano Di Leo seine Heimatstadt Fabriano.

(Quelle: Tiziano di Leo, „Berlino 1943 – 1945. Diario di Prigionia,” Hrsg. Centro Studi don Giuseppe Riganelli, Fabriano: 2000; Bildmaterial: Familie Di Leo, Dank an Gianfranco Ceccanei für die Beschaffung)