1945 NS-Zwangslager in Berlin

Zu ende, aber nicht vorbei

Dienstag, 24. April 1945

Lichtenberg: Umberto Palo und Rosemarie Heinze

„Alle Bunkertüren waren fest verschlossen und verriegelt. Draußen wütete die Schlacht. Es ging rund. Von Mund zu Mund pflanzte es sich fort: Die Russen sind da! Auf dem Kalender stand: 24. April 1945. Nun war es also soweit: Alle wirkten sehr gefasst – sehr still. In der Schleusenkammer schufteten die wenigen Männer mit den größeren Jungen wie die Schwerarbeiter an dem Rad der Luftzufuhr, dass man in der Not selber drehen konnte. Ich glaube, sie bewahrten uns vor dem Erstickungstod.“

(Erinnerungen der Berlinerin Rosemarie Erdmann, geb. Heinze; http://www.kindheit-und-politik.de/)

Mit Begeisterung war Rosemarie Heinze als junges Mädchen beim „Bund Deutscher Mädels“ (BDM). So wie es sich für ein Mitglied der NS-Jugend gehörte, sammelte sie von Tür zu Tür Rohstoffe für den Sieg. Nach Kriegsausbruch ändert sich ihre Einstellung bald: Immer wieder beobachtet sie, wie aus dem berüchtigten „Arbeitserziehungslager Wuhlheide“ in Friedrichsfelde fast täglich ein Zug von Elendsgestalten vorüberzieht – ein Anblick, den sie nie mehr vergisst. Als sowjetische Truppen Berlin erreichen, erlebt Rosemarie Heinze traumatische Vergewaltigungen durch russische Soldaten. Ein befreiter Zwangsarbeiter aus Italien wird ihr Beschützer: Umberto Palo, aus jener Fleischfabrik im Lichtenberg Triftweg, in der der Vater Rosemaries seinen Arbeitsplatz hatte. Über mehrere Wochen hinweg versorgen Palo und andere befreite Italiener die Familie mit Lebensmitteln. Von der Befreiung bis zu seiner Heimkehr nach Italien bleibt Umberto Palo ein enger Freund der Familie Heinze. 15 Jahre später besucht Rosemarie Erdmann ihn zusammen mit ihrem Mann in Battipaglia bei Salerno.

(Quelle: Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit)

Neukölln: "Es lebe die Große Rote Armee!"

„Es lebe die Große Rote Armee, unsere Befreiungsarmee!
Dieser Tag ist der glücklichste Tag, so kann man sagen, in meinem jungen Leben. Ich, ein siebzehnjähriger Junge, wurde unter Zwang nach Deutschland verschleppt, zum Leiden und zum Kummer verurteilt. Die Rote Armee hat uns letzten Endes befreit. Jetzt kann ich nach Hause zurückkehren, jetzt kann ich Heimatluft mit voller Brust ein- und ausatmen. Ich werde frei für meine Heimat arbeiten...
Als die Eroberung Berlins begann, war der Himmel von sowjetischen Flugzeugen voll. Die Faschisten verschanzten sich sehr gut. Ich befand mich mit einem Freund in einem Versteck nahe unserer Baracke. Die Kämpfe waren erbittert… Die Deutschen schossen noch mit den Maschinengewehren aus den Nachbarhäusern. Die Schlacht war aber bereits im Großen und Ganzen gewonnen. Jetzt sah ich mit eigenen Augen die Stärke der Roten Armee… Jetzt befinden wir uns unter Landsleuten. Ich war so froh! Ich begann zu weinen.“

(Aus dem Tagebuch des ehemaligen Zwangsarbeiters Wasyl Timofejewitsch Kudrenko)

Wasyl Timofejewitsch Kudrenko ist 16 Jahre alt, als er 1943 aus einem ukrainischen Dorf nach Berlin verschleppt wird. Als „Zwangsverpflichteter“ muss er auf Berliner Friedhöfen Gräber ausheben. Gemeinsam mit ca. 100 anderen „Ostarbeitern“ lebt Kudrenko in einem von der evangelischen Kirche betriebenen Zwangslager auf dem Friedhof der Jerusalems- und Neuen kirchgemeinde, zwischen Hermannstraße und Flughafen Tempelhof. In seinem Tagebuch notiert er Tag für Tag seinen Blick auf das Leben im Lager, die harte Arbeit, den Hunger und die alltägliche Bedrohung durch Bomben und Gestapo. Wie die meisten der männlichen ehemaligen „Ostarbeiter“ wird Kudrenko nach der Befreiung verhört und anschließend in die Rote Armee eingegliedert, um seinen Militärdienst abzuleisten.

(Quelle: Wasyl Timofejewitsch Kudrenko, „Bist du Bandit?“, Berlin: Wichern-Verlag 2005, S. 72)