1945 NS-Zwangslager in Berlin

Zu ende, aber nicht vorbei

Montag, 23. April 1945

Hermsdorf: Ausweis des Zangsarbeiters Marino Arletti

Am 23. April rücken sowjetische Truppen aus dem Norden nach Berlin-Tegel vor, wo sie sich dreitägige Kämpfe mit einem Werkschutz-Battailon liefern. Unterdessen umgehen einzelne Einheiten das Gebiet über Waidmannslust, Wittenau und Hermsdorf. Hier wird der 22-jährige italienische Zwangsarbeiter Marino Arletti befreit. In einer Notiz auf der Rückseite seines Ausweises hält er fest:

„Berlin 23.04.1945. Ein Tag, der mir unvergessen bleiben wird. Ich danke Gott, dass ich gesund und in Sicherheit bin. Gestern sind die russischen Truppen eingetroffen, sie sind gekommen, um uns zu befreien. Ich hätte nie gedacht, dass sie so gut sein würden. Ein russischer Unteroffizier kam zu mir und ich habe ihm den Bart gemacht [geschoren]. Doch genug davon, ich muss gehen, um die Soße vorzubereiten… wir kochen Gnocchi.“

Montag, 23. April 1945

Tegel: Befreiung von Jean René

Jean René wird als Kind einer Bauernfamilie 1905 in Bazas in der Gironde geboren. Als Zimmermann tätig, wird er 1939 vom französischen Militär für die Artillerie eingezogen. Am 18. Juni 1940 nehmen ihn deutsche Einheiten in der Nähe von Paris gefangen und bringen René zunächst gemeinsam mit anderen Gefangene in das Stalag IIID bei Berlin. Als Kriegsgefangener muss er in Berlin hart arbeiten, zunächst in einem Wasserwerk, anschließend in einem Schuppen am Bahnhof Grünau, dann für Zementarbeiten bei der Firma Rohmberg. Vom Lager in Grünau, wird René nach Mariendorf verlegt. Seinen Weg zu Arbeit legt er täglich mit der U-Bahn zurück. Im November 1944 wird er wieder verlegt, diesmal in ein Lager in Berlin-Tegel. René arbeitet nun für eine Schreinerei. Von seinen Erlebnissen in Berlin und seiner Befreiung schreibt Jean René eindringlichen in seinen Tagebüchern, die erst viele Jahre später von seinem Sohn Hervé gefunden werden:

„Ich habe eine recht gute Nacht verbracht, trotz ununterbrochenem Beschuss. Heute keine Arbeit: Ich glaube, dass die Arbeit bei den Bausteinwerken vorbei ist. Gestern Abend kam der Chef, um uns Lebewohl zu sagen; er hatte Tränen in den Augen. Der Tonfall hat sich in den fünf Jahren verändert. Es ist trotz allem traurig, denn hier ist es wie überall: Es gibt gute Menschen, die leider nicht in der Mehrzahl sind, und sie sind es, die leiden müssen.
Es ist 8 Uhr. Ich werde im Bunker schlafen, denn die Kugeln kommen von allen Seiten, es ist keine gute Idee, in der Baracke zu schlafen! Heue früh dachte ich, ich hätte die Russen in Tegel gesehen, aber es donnert immer noch. Es stimmt, dass noch nicht aller Tage Abend ist…


Ich musste heute Morgen mit dem Schreiben aufhören, als um acht, gerade als ich am wenigsten damit rechnete, heute befreit zu werden, die ersten russischen Soldaten vorbeiliefen. Wir sahen zuerst Infanteristen. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie wir uns seit heute Morgen um 8 Uhr freuen, denn nicht weit hinter der Infanterie kamen Panzer und Hunderte mehr. Alle Ausländer sind auf den Bürgersteigen und die Freude steht allen ins Gesicht geschrieben. Die Deutschen verstecken sich in den Häusern; viele Fahrzeuge haben angehalten, um uns Zigaretten und Brot zu geben.“

(Quelle: „Ein Spielball in den Wirren des Krieges. Tagebuch eines Kriegsgefangenen,“ Hrsg. Hervé René, Saint-Denis: Edilivre, 2017)