Dienstag, 1. Mai 1945
Potsdamer Platz: Abwarten im S-Bahn Schacht
In den Tagen vom 28. April zum 2. Mai 1945 spielen sich im Nord-Süd Tunnel der Berliner S-Bahn, zwischen Friedrichstraße und Anhalter Bahnhof, chaotische Szenen ab. Tausende Berliner*innen hatten in den letzten Kriegstagen in unterirdischen S-Bahn- und U-Bahnschächten Schutz vor den anhaltenden Kämpfen und Luftangriffen gesucht. So auch zahlreiche Zwangsarbeiter*innen, wie etwa der untergetauchte jüdische Zwangsarbeiter Walter Frankenstein oder der französische Zwangsarbeiter Marcel Elola. Züge fuhren hier schon lange nicht mehr und dienten teilweise als Behelfslazarette. Auf den Bahnsteigen der Stationen drängten sich die Menschen.
Vom Samstag, dem 28. April 1945 an, halten sich auch im Anhalter Bahnhof Hunderte Menschen auf. Es herrschen katastrophale Zustände. Am 1. Mai erscheint um 9 Uhr morgens eine SS-Wachmannschaft und beginnt die Menschen durch den Tunnel in Richtung Potsdamer Platz zu treiben.
Eine Berlinerin berichtet: „Als wir den Bahnhof Potsdamer Platz erreichten, hatte sich der Zug [der Menschen] schon sehr gelichtet. Im Dunkeln stolperten wir über die Schwellen weiter. Viele stürzten und brachen sich die Arme und Beine. Sie blieben hilflos liegen. Lange noch hörten wir ihr verzweifeltes Rufen… Da rief ein SS-Mann: ‚Ausländer, rechts heraustreten.‘ Uns allen ging ein Schauer über den Rücken. Einige der Ausländer rissen wir in unsere Reihen hinein. Die anderen blieben zurück. Das Knallen von Schüssen, das dann hinter uns erscholl, gab uns genügend Auskunft über das Schicksal dieser Zurückgebliebenen.“
Am S-Bahnhof Friedrichstraße wird die Gruppe in den U-Bahnschacht getrieben, in Richtung Stettiner Bahnhof (heute Nordbahnhof). Dort jagt man die Menschen auf die Straße. Die Berlinerin berichtet weiter, „der Artilleriebeschuss dröhnte in voller Stärke. Ich taumelte wie betäubt vorwärts. Hunderte von uns wurden niedergemäht… Es wollte nicht Nacht werden, so blutrot war der brennende Himmel über Berlin.“
Am 2. Mai 1945 zerstört eine gewaltige Detonation die Decke des Tunnels unter dem Berliner Zentrum, genau an jener Stelle, wo die S-Bahn den Landwehrkanal unterquert. Am S-Bahnhof Friedrichstraße lief das Wasser auch die U-Bahntunnel über und flutete große Teile des Berliner Tunnelsystems. Schätzungen zufolge sterben zwischen 800 [sic] und 15.000 Menschen. Darunter vermutlich auch zahlreiche Zwangsarbeiter*innen.
(Bericht einer unbekannt gebliebene Berlinerin in der Berliner Zeitung vom 11. Juni 1945, „Wettlauf mit dem Tod“, Quellen: „Die Befreiung Berlins 1945. Eine Dokumentation, DVW, Berlin 1975, S. 135f. und Artikel von Sven Felix Kellerhoff, Welt-Online vom 2. Mai 2015)