1945 NS-Zwangslager in Berlin

Zu ende, aber nicht vorbei

Donnerstag, 17. Mai 1945

"Prüf- und Durchgangslager": Rückkehr in die Sowjetunion

Unmittelbar nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands am 8. Mai 1945 gelingt es den Alliierten schnell, eine Grundversorgung für die unzähligen Displaced Persons (DP) in Berlin sicherzustellen. Auch eine zügige Rückkehr in die Heimatländer soll gewährleistet werden, so werden bis zum Spätsommer 1945 fast täglich Tausende ehemalige Zwangsarbeiter*innen in ihre Herkunftsländer zurückgeführt. Im August 1945 leben in Berlin nur noch knapp 23.000 ausländische Staatsbürger.

Bereits im Februar 1945 war auf der Konferenz von Jalta zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion vereinbart worden, dass sowjetische Staatsangehörige in separaten DP-Lagern zu sammeln und „ohne Rücksicht auf individuelle Wünsche“ in die Sowjetunion zurückzuschicken seien. Hierfür wird eigens eine „Repatriierungsbehörde“ für die Rückkehr der Sowjetbürger geschaffen.

Allein aufgrund der Tatsache, dass sie in deutsche Gefangenschaft geraten waren, stehen nun viele von ihnen unter dem Verdacht des Verrats. Ähnlich misstrauisch wie die sowjetischen Kriegsgefangenen werden die zivilen Zwangsarbeiter*innen beäugt, die man pauschal der Kollaboration mit den Nationalsozialisten bezichtigt. Nicht selten versuchen sie sich aus Angst vor Repression in der Heimat einer Rückführung zu entziehen.

Der Großteil der sowjetischen DPs wird vor der Rückkehr in sogenannten „Prüf- und Durchgangslagern“ registriert und befragt. Teilweise werden derartige „Prüflager“ kurzerhand in den befreiten Zwangslagern des NS-Regimes eingerichtet. Im sowjetischen Hinterland entstehen daneben „Prüf- und Filtrationslager“. Hier werden die Rückkehrer*innen politisch überprüft und von Mitarbeitern des „Volkskommissariat für innere Angelegenheiten“ (NKWD) intensiv befragt.

Die ehemalige ukrainische Zwangsarbeiterin N. S. Wladyschtschenko wird unmittelbar nach der Befreiung bei Berlin in die Rote Armee rekrutiert. Sie erinnert sich: „In der Sowjetarmee wurden wir mit Vorsicht aufgenommen, einige Male führten Mitarbeiter von Sonderabteilungen Gespräche mit mir. Mit solchem Verhalten wurde ich auch später in der Ukraine konfrontiert. Im Ergebnis dessen konnte ich in der ersten Zeit keine Arbeit finden.“

Wer als verdächtig gilt, landet unter Umständen in einem Arbeitsbataillon oder einem Straflager in der Sowjetunion. Auch Galina Ippolitowna Wertaschonok muss sich nach ihrer Befreiung in Berlin wiederkehrenden Verhören unterziehen: „Wir hörten eine russische Stimme: ‚Russen rauskommen!‘ Es waren unsere russischen Soldaten. Wir weinten vor Freude, küssten und umarmten sie. Sie wiesen uns an, ins Hinterland unserer Truppen zu gehen. Der Weg war sehr lang und schwer. Danach landeten wir in einem Sammelpunkt. Dort gab es Vernehmungen, und wer die deutsche Sprache konnte, wurde gleich in den Zug verladen und ins Ungewisse verschickt.“

Nicht selten ging mit dem Verdacht des Verrats eine jahrelange Stigmatisierung in der Heimat einher. So berichtet Galina Wertaschonok weiter: „In der Heimat wurden wir auf eine schwere Probe gestellt… 40 Jahre lang galten wir nicht als Menschen. Mehrmals wurden wir vom NKWD vorgeladen, wurden wieder und wieder vernommen.“

(Quellen: Bericht von N. S. Wladyschtschenko, in: „So war es.“ Zwangsarbeit in der Region Dahme-Spreewald, Hrsg. Dahme-Spreewald e.V., Zeuthen 2002; Brief der ehemaligen Zwangsarbeiterin Galina Ippolitowna Wertaschonok an die Berliner Geschichtswerkstatt, Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit – Sammlung Berliner Geschichtswerkstatt; Volker Ulrich, „Acht Tage im Mai. Die letzten Wochen des Dritten Reiches,“ München: C.H. Beck, 2020.)