1945 NS-Zwangslager in Berlin

Zu ende, aber nicht vorbei

Montag, 30. April 1945

Warschauer Straße: Befreiung Zenobius Gorzkiewicz

„Im April haben wir uns mit unseren Bewachern zusammen nach Berlin zurückgezogen. Nicht weit vom Warschauer Bahnhof wurden wir auf dem Hof eines großen Wohnhauses festgehalten… Man befahl uns, alle Dokumente, Briefe und Fotos, sogar die Abzeichen mit dem Buchstaben „P“, abzugeben… Dann warfen sie alles auf einen Haufen und steckten es in Brand. Wir wurden zu einem Luftschutzbunker geführt… bei uns waren viele Wehrmachtssoldaten. Einige Deutsche baten uns, ihnen Zivilkleidung zu geben.

Am 30. April sahen wir durch einen Spalt die einmarschierenden sowjetischen Soldaten. Unter uns fanden sich einige, die Russisch konnten. Sogleich hissten wir einen weißen Lappen. Dann liefen einige sowjetische Soldaten auf uns zu und befahlen uns, einzeln und mit erhobenen Händen herauszukommen. Unsere Dolmetscher sagten, wir seien etwa 300 Leute. Einer der Offiziere stellte einen besonderen Zug zusammen und befahl auf Russisch, Polen und andere Gefangene sollten sich auf der rechten Seite und die Deutschen auf der linken Seite des Hofes aufstellen. Als alle den Bunker verlassen hatten, haben sie vor unseren Augen die Deutschen erschossen…“

(Erinnerungen des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Zenobius Gorzkiewicz)

Zenobius Gorzkiewicz wird am 1. Februar 1929 im Dorf Grodzisko, Woiwodschaft Łódź geboren. Während der deutschen Okkupation ist Gorzkiewiczs Familie im Untergrund aktiv, an der Verbindungsstelle zwischen dem Generalgouvernement und den an das Deutsche Reich angeschlossenen Gebieten. Als 13-Jähriger wird Gorzkiewicz im Juni 1942 bei einer Razzia in einer Straßenbahn gefangen genommen und in ein Gestapo-Gefängnis gebracht. Drei Tage später verschleppt ihn die Gestapo gemeinsam mit anderen Gefangenen ins Deutsche Reich. Er gelangt zunächst in ein Übergangslager in Frankfurt (Oder), dann nach Wildau. Hier muss Gorzkiewicz im Werkzeuglager der Firma Schwartzkopff für die Rüstungsproduktion arbeiten. Später wird er als Dreher eingesetzt. Das Lager der Firma ist von Stacheldraht und Wachtürmen umgeben, bewaffnete Posten bewachen den Eingang. Die Verpflegung und medizinische Versorgung ist katastrophal. Gorzkiewicz muss das „P“-Abzeichen auf seiner Kleidung tragen. Anfang 1945 wird Gorzkiewicz von der Wehrmacht abgeholt und zum Bau von Schützengräben und Panzersperren gezwungen. Er wird nach Seelow verlegt und muss dort im April 1945 unter anhaltendem Beschuss an der Front die deutschen Soldaten in den Schützengräben mit Lebensmitteln versorgen.

(Quelle: Brief des ehemaligen polnischen Zwangsarbeiters Zenobius Gorzkiewicz vom 05.02.1998 und Interview vom 21.08.2001 © Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit, Sammlung Berliner Geschichtswerkstatt.)