1945 NS-Zwangslager in Berlin

Zu ende, aber nicht vorbei

Mittwoch, 25. April 1945

Gartenkolonie "Dreieinigkeit": Befreiung Hans Rosenthals

Am 25. April 1945 erreichen sowjetische Einheiten die Kleingartenkolonie „Dreieinigkeit“ im Berliner Stadtteil Lichtenberg. Hier hält sich seit zwei Jahren der später als „Dalli, Dalli“-Quizmaster bekannte 20-jährige Hans Rosenthal versteckt. Er überlebt die Verfolgung und den Krieg dank der Hilfe der Kleingärtnerinnen Ida Jauch, Emma Harndt und Maria Schönebeck.

Hans Rosenthal wuchs in einer jüdischen Familie in Berlin-Prenzlauer Berg auf. Als Kind erlebt er die wachsende antisemitische Verfolgung durch den Nationalsozialismus. Beide Eltern versterben schon früh, gemeinsam mit seinem Bruder Gert kommt Rosenthal in ein Heim für Waisen und muss den Namen Hans Israel Rosenthal übernehmen. Am 19. Oktober 1942 wird Gert Rosenthal nach Riga deportiert und kurze Zeit später im KZ-Majdanek ermordet. Auch andere Angehörige überleben den Holocaust nicht.

Rosenthal gelangt in ein jüdisches Ausbildungslager (hebr. Hachschara) bei Sommerfeld in der Niederlausitz, wird nach dessen Verbot jedoch 1940 zur Zwangsarbeit als Totengräber für das Landwerk Neuendorf bei Fürstenwalde herangezogen. Später muss er als Akkordarbeiter in einer Konservenfabrik in Berlin-Weißensee und Torgelow arbeiten.

Am 27. März 1943 gelingt ihm die Flucht. Mithilfe von Ida Jauch, einer nicht-jüdischen Bekannten seiner Mutter, taucht er in einem Schrebergarten der Kolonie „Dreieinigkeit“ in Lichtenberg unter. Hier leben vorwiegend Menschen aus einfachen Verhältnissen, die sich infolge von Arbeitsnot und Wohnungslosigkeit die Lauben zu bescheidenen Unterkünften ausgebaut hatten. Als die 58-Jährige überraschend stirbt, nimmt sich die Laubennachbarin und Freundin Jauchs, Maria Schönebeck, des jungen Hans Rosenthals an.

Nach seiner Befreiung macht Hans Rosenthal 1945 eine Ausbildung beim Berliner Rundfunk, wo er danach als Regieassistent arbeitet. Wegen Konflikten mit den Aufsichtsgremien der sowjetisch gesteuerten Rundfunkanstalt geht er jedoch im Jahr 1948 in die Westsektoren und wechselt zum RIAS. Hier wird er als Entertainer einem großen Publikum bekannt, besonders mit seiner von 1971 bis 1986 gesendeten Quizshow „Dalli-Dalli”. Erst spät spricht Rosenthal über seine jüdische Vergangenheit in Deutschland. 1980 wird seine Autobiografie „Zwei Leben in Deutschland“ veröffentlicht.
 

Aus den Erinnerungen Hans Rosenthals:

„In der letzten Aprilwoche hörte ich außer dem Geschützdonner ein für mich neuartiges Geräusch: ein Rasseln, das die Erde beben ließ – Panzer. Panzerketten, Panzermotoren, dumpfe Einschläge. Das war nicht gerade Gesang in meinen Ohren. Aber es war der Klang der Freiheit…
Ich verließ die Laube und lief, ohne weiter Rücksicht auf meine Situation zu nehmen, in die Richtung, aus der das Gerassel der Panzerketten kam. Hinter einer Hecke suchte ich Deckung. Und dann sah ich die Panzer kommen, schmutzige, lärmende Ungeheuer. Einer hielt neben mir an. Ich duckte mich. Ganz deutlich sah ich den Sowjetstern auf den Panzerplatten…
Erst später erfuhr ich, daß hinter solchen Hecken Hitlerjungen und Männer vom ‚Volkssturm‘, dem letzten Aufgebot, gelauert und ‚Panzerfäuste‘ gegen die heranrückenden Panzer gerichtet hatten…
Ich steckte stolz meinen ‚gelben Stern‘ ans Jackett und machte mich auf den Weg, den Befreiern entgegen. Vor Nazis hatte ich jetzt keine Angst mehr, obwohl die Möglichkeit eines Gegenstoßes durchaus noch bestand.“


„Kurz vor dem Zentralviehhof stand ein russischer Panzer, seine Besatzung plaudernd daneben. Winkend strahlend, glücklich, näherte ich mich den Panzersoldaten. Einer von ihnen war Jude. Er begrüßte mich herzlich und sprach deutsch mit mir. Er müsse mit seinen Kameraden in wenigen Minuten auf die Innenstadt vorstoßen, sagte er. Ob er’s überleben würde, wer wüßte das schon. Ich drückte ihm die Hand. ‚Massel tov‘ sagte ich zu ihm – ‚viel Glück!‘“

(Quelle: Hans Rosenthal, „Zwei Leben in Deutschland,“ Gustav Lübbe Verlag: Bergisch Gladbach, 1993, S. 87f.)