1945 NS-Zwangslager in Berlin

Zu ende, aber nicht vorbei

Samstag, 21. April 1945

Königs Wusterhausen: Todesmarsch Richtung Norden

„Als sich die russischen Truppen im April 1945 Königs Wusterhausen näherten, wurden wir alle schleunigst nach Sachsenhausen verfrachtet. Da wiederholte sich in fast gleicher Grausamkeit das Bild von Ravensbrück, der Aufenthalt hier dauerte aber nicht sehr lange. Nach kurzer Zeit, wir konnten genau die sich nähernde Front hören und in der Nacht als rote Glut am Himmel leuchten sehen, wurde allen Häftlingen befohlen, sich auf den Weg zu machen. Das war der Todesmarsch. Die Baracken, so hieß es, wären mit Sprengstoff beladen und werden in die Luft gesprengt. Meine Mutter sagte aber, sie hätte keine Kraft mehr zu gehen, und es wäre ihr schon egal, wo und wie sie stürbe.“
(Bericht von Dr. Richard Fagot)

Richard Fagot entstammte einer assimilierten jüdischen Familie aus Łódź. Der Vater war Direktor einer der größten Gummifabriken in Polen. An Fagots viertem Geburtstag überfällt die Wehrmacht
das Land. Wenig später muss er mit seiner Familie in das neu errichtete „Ghetto Litzmannstadt“ umziehen. Mit großem Glück entgeht Fagots Familie jedoch der Deportation nach Auschwitz: Gemeinsam mit einigen anderen Familien wird sie für die Produktion von Behelfsheimbauten für ausgebombte deutsche Familien in Königs Wusterhausen ausgewählt. Nach einem Zwischenstopp im KZ-Sachsenhausen wird die Familie getrennt. Der Vater wird nach Königs Wusterhausen verlegt. Fagot und seine Mutter schickt man, wie auch die anderen Frauen, in das KZ-Ravensbrück, wo sie unter katastrophalen Bedingungen den Winter überstehen. Im Februar 1945 werden die noch überlebenden Łódźer Frauen und etwa 30 Kinder „überraschend aus der Hölle geholt“ und nach Königs Wusterhausen gebracht.

Hintergrund:
Das KZ-Außenlager Königs Wusterhausen, südöstlich der Berliner Stadtgrenze gelegen, entstand 1944 und befand sich am Güterbahnhof, im östlichen Teil der Stadt Königs Wusterhausen (Storkower Straße/Priestergraben). Die meisten der insgesamt etwa 600 jüdischen Häftlinge des Lager stammten aus Łódź. Bei der Auflösung des Łódźer Ghettos waren sie von der SS für Aufräumarbeiten zurückgehalten und anschließend nach Königs Wusterhausen verlegt worden.
Die Frauen im Lager mussten für die Firma Krupp Munitionskisten zusammennageln und „Winterbaukisten“ für LKW-Motoren von Siemens herstellen. Die Männer wurden in der nahegelegenen Produktion von Behelfsheimbauten eingesetzt.
Wenige Tage vor der Befreiung des Lagers am 26. April 1945 wurde ein Teil der männlichen Gefangen nach Sachsenhausen gebracht und von dort aus auf den Todesmarsch Richtung Mecklenburg geschickt. Unter ihnen befand sich Dr. Richard Fagot. Von den Strapazen entkräftet, wurden viele der Häftlinge auf dem Marsch erschossen. Eine zweite Gruppe, bestehend aus Kindern und Frauen, musste zwischen dem 18. und 20. April 1945 den Fußmarsch vom KZ-Außenlager Königs Wusterhausen in Richtung Sachsenhausen antreten. Einige von ihnen wurden noch auf dem Weg nach Sachsenhausen von sowjetischen Truppen befreit. Die Wachmannschaften des Lagers flüchteten 22. April in ziviler Kleidung. Die Rote Armee erreichte das Lager am 26. April 1945.